Meine Lieblingsgedichte von Gunild Feigenwinter
Die mir liebsten Gedichte hat meine Frau Gunild geschrieben. Ich entnehme sie den Lyrikbänden "Mich ruft die Sirene" (Mond-Buch Verlag Basel 1981) und "Kore in der Unterwelt" (Mond-Buch Verlag Basel 1986). copyright: Gunild Feigenwinter
Auf der Erde sollst du gehen
unter einem guten Stern
vieles sollst du kennen
viel verstehn
Nicht in Reichtum
sollst du leben kalten Herzens
nicht zu Lebzeit eine
tote Seele sein
Freunde wirst du finden
einsam wirst du sein
im Buch des Lebens sollst du lesen
weise sollst du sein
Vor der Roheit vor der Dummheit
beuge nicht die Stirn
leiden musst du lernen
durch Feuer musst du gehn
Von der Liebe sollst du kosten
den Tropfen Süssigkeit
wenn der Tod dich findet
sei bereit
In der Erde sollst du liegen
unter deiner Kindheit
frühen Sternen sollst du ruhn
Wasser wird dich waschen
Schnee wird dich bedecken
Über dir die alte Sonne
Die Erde
wird deine Wiege sein
***
Friedhof im Süden
Hier leben die Lebenden unter den Toten,
hier bricht der Marmor weich, dein Name
ist schon gemeisselt, wie leicht
liegt mir die Hand noch im Haar, von der Sonne
durchschienen, und festlich für die nie gewesene Stunde
vor Abend glüht wieder der Oleander - keiner
hat dich gesehn, in der Meerstadt
am heissen Tag, doch ich weiss,
wer du wärest, trügen sie dich entlang die Zypressen
die staubige Strasse, weg von dem Haus,
wo du wohntest die bittere Zeit, weg von
den Vätern den Müttern, hin zu
dem schweigenden Fluss dem treibenden, das Gesicht
offen und ohne die Maske, der Sonne entgegengewandt
der unsterblichen Sonne - klaglos stünd ich,
trügen sie dich so und könntest du
ruhen und hättest nur einmal unter der Sonne
getrunken den Kelch bis zum Grund
***
Mich ruft die Sirene
Funkelnder Fluss hinter den Bäumen
durchfliesst mir das Uralt-Land
Nachtlicht bricht aus den Träumen
weissglühend die Scheibe spiegelnd
den himmlischen Brand
Mond der Toten
leuchtet uns heim in den dunkelnden Tag
sammelt die Seelen taucht mir das Aug
in Licht und in Nacht mich ruft die Sirene
noch während wir reden mitten am Tag
***
Sommermitte
Auf dem offnen Fensterflügel
steigt ein Wolkenberg
schiebt sich ins Zimmer
tiefes Weiss ins Blaue, das dunkelt,
während draussen
der Sommertag sich dehnt
In der weissen Wolke
liegen die ewigen Kindheiten
die ärmsten weich gebettet
das Lamm thront auf dem Löwenwagen
unversehrt
von keines Menschen keines Gottes
Hand berührt
während mein Tag vergeht
Lautlos wirbeln die goldenen Kugeln
Keiner fängt die Wolken
weiss wie die Zeit zergeht das Bild
geht ein ins Blau
ein Schmerz nur in meinen geblendeten Augen
***
Zeitenwende
Die Blumen blühn
die Kugeln glühn
die Uhren gehn
die Toten ruhn
die Kinder schrein
die Beter beten
die Töter töten
die Brüter brüten
die Brunnen brechen
die Winde drehn -
die Kugeln glühn
***
Vogeltod
Wenn Nebel kommt
bist du schon weit
kleiner Vogel
den ich fand
auf der Strasse
am heissen Tag im August
dein noch warmes Gefieder
vergrub ich tief
sie fangen dich nicht
copyright: Gunild Feigenwinter